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Die bekannte Welt > Die Eisvölker

»Diese Frau machte sich eines großen Frevels schuldig. Sie spuckte beim Essen aus; das ist eine Verschwendung von wertvoller Nahrung, die der Sühne bedarf. Nun wird sie für einen Tag und eine Nacht an diesem Gerüst hängen und hat ausreichend Gelegenheit, über ihre Verfehlung nachzusinnen. Als wir noch im Winterland lebten, starben fast alle, die so bestraft wurden. Mittlerweile überleben viel zu viele.«

Verduk Einauge von den Tjarern zu Merdea von Arlen

Die Eisvölker

Jenseits der bekannten Welt erstrecken sich alten Mythen zufolge die Winterlande, in welchen immerzu Winter herrscht und wohin kein Frühling gelangt, und hinter diesem kargen, unwirtlichen Bereich sollen demnach die unerforschten Räume der Ewigen Kaltnacht liegen. Allgemein werden derartige Aussagen in Lauretien und anderswo in den Bereich der Sage verwiesen, und nur die mächtigsten Magier können wohl ernsthaft über ihren Wahrheitsgehalt urteilen, doch seit kurzer Zeit erst treten im hohen Norden Lauretiens Menschen in Erscheinung, die von sich behaupten aus eben diesen Winterlanden zu stammen. Sie berichten von weiten Ebenen und Eisflächen, von klüftigen Bergspitzen, die aus dem Firn ragen wie die erstarrten, bettelnden Hände ertrinkender Riesen; sie erzählen von einem entbehrungsreichen Leben im ewigen Frost und von einer großen Stille.

Voller Staunen betrachten sie die Wunder der warmen Welt, wie sie die Länder der Sonne und des flüssigen Wassers nennen, den Kreislauf von Werden und Vergehen, die Pracht der Farben im Sonnenlicht, die Fülle und den Reichtum.

Die Stämme dieser Menschen werden vielfach unter dem Namen Eisvölker zusammengefaßt, und fürwahr sind sie so vielgestaltig, daß sie kaum eine andere Gemeinsamkeit haben denn ihre außerordentliche Fremdartigkeit. Eine weitere Gemeinsamkeit scheint die Musik der Eisvölker zu sein, der merkwürdige Tonleitern und Harmonien zugrunde liegen. Eines der beliebtesten Instrumente ist die Lyra, die bei nahezu allen Stämmen verwendet wird; in der klassischen Form wird sie aus Knochen und Leder gefertigt, doch in neuerer Zeit setzt sich Holz als Werkstoff anstelle der Knochen mehr und mehr durch. Weitere wichtige Instrumente sind Flöten und Handtrommeln.

In kultureller Hinsicht sind die Eisvölker Barbaren, ohne Schrift und verfeinerte Lebensart. Sie sind gewöhnt, jeden Tag ihres Lebens einer harten, unbarmherzigen Umwelt abzuringen. Die Völkerwanderung der Eisvölker hat längst eine unwiderstehliche Dynamik gewonnen, und manche Kultur des Nordens zerbrach unter ihrer Wucht. Mit wildem Elan und Entschlossenheit treten die Eisvölker in die Geschichte Lauretiens ein, drängen unaufhaltsam gen Süden und nehmen sich von den Schätzen und der Fruchtbarkeit, was sie begehren. Gleichwohl nehmen sie auf ihrem Marsch Gepflogenheiten und Bräuche der eingesessenen Bevölkerung an, vermischen sich oftmals auch mit dieser. So werden ihr Schwung und ihre rohe, wilde Art gedämpft. Im hohen Norden, an der Grenze zum ewigen Eis, findet man daher nicht nur die zuletzt angekommenen Stämme sondern gleichzeitig jene, die noch am weitesten an ihrer alten, rohen Lebensart festhalten. Mit ihrer ursprünglichen Kraft drängen sie wiederum jene, die vor ihnen kamen, weiter nach Süden ab und halten so die Völkerwanderung in Bewegung.

Tasimo, ein Sprachgelehrter und Magier aus Marapur in Xiang, hat jüngst versucht, die Verwandschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Eisvölkern anhand von sprachlichen, körperlichen und kulturellen Merkmalen zu gliedern. Obwohl er sich bei seinen Forschungen weitestgehend auf mündliche Berichte von Reisenden und Gerüchte bezog, gelang es ihm die meisten Stämme drei großen Gruppen zuzuordnen, die er als Dicraer (wörtlich: ›die mit rauhen Zungen reden‹), Nuamer (nach dem mythischen Land Nuam in den Winterlanden) und Schin (Anbeter des Gottes Torek Schinsal). Die geheimnisvollen Dnukanden freilich wußte er nicht in sein Bild einzufügen.

Die bekannten Stämme der Eisvölker sind:

Sulusken
Als erste gelangten die Sulusken in den Norden Lauretiens, wo sie nur zögerlich weiter nach Süden vordrangen. Von den nachstoßenden Horden wurde dieser kleine Stamm immer weiter nach Südosten aus der Hauptstoßrichtung abgedrängt, bis er schließlich die Arlischen Pforte erreichte. Bald wurden die Sulusken zu Vasallen der arlischen Könige. Die Sulusken werden zumeist als sehr hellhäutig beschrieben mit rotblondem oder hellbraunem Haar und starkem Bartwuchs; ihre nächsten Verwandten sind die Felasen und etwas fragwürdig die Lebager. Der größte aber auch letzte Häuptling der Sulusken ist Gnuga.

Felasen
Die Felasen folgten ihren suluskischen Vettern dichtauf, doch sie wandten sich nicht nach Osten, zum Königreich Arlen, sondern wanderten die sturmgepeitschte Ebene von Elrasmo weiter nach Süden hinab, bis zu den Fürstentümern von Tearin. Sie gleichen äußerlich weitesgehend den Sulusken, sind jedoch um vieles zahlreicher als diese und werden von Schamanen angeführt. Ihre bevorzugte Waffe ist eine grobe, gebogene Streitaxt, die sie mit großer Geschicklichkeit führen.

Lebager
Dieser Stamm zählt nur wenige tausend Mitglieder und ist aus diesem Grunde noch nicht nennenswert in Erscheinung getreten. Zu schwach, um die reichen Länder des Südens bedrohen zu können, haben sich die Lebager im Schatten der großen Wanderungen in die unbewohnten Täler des Taugebirges, westlich von Aurelien und Arlen, zurückgezogen. Über sie ist wenig bekannt, alleine, daß sie hellhäutig, von grazilem Körperbau und völlig kahl sind. Ihnen werden unheilvolle magische Kräfte zugeschrieben.

Tjarer
Die Ebene von Elrasmo wird gegenwärtig von den Tjarern beherrscht, einem Stamm, der sich unter einem König vereint hat, und eine wachsende Bedrohung für Arlens Westgrenze darstellt.

Dleibder
Die nahen Verwandten der Tjarer siedeln weiter südlich an der Nordgrenze Tearins unmittelbar neben den Felasen und den Süd-Kueidern.

Kueider
Die Kueider haben sich vor wenigen Jahren getrennt. Die Nord-Kueider zogen von Elrasmo nach Osten bis zur Küste von Adarak, nördlich von Arlen. Die Süd-Kueider wurden Vasallen der Fürsten von Tearin, um diese vor den Angriffen der Felasen und Dleibder zu schützen.

Dnukanden
Ein merkwürdiges Volk sind die Dnukanden, die mit keinem der anderen Eisvölker verwandt zu sein scheinen. Reisende, die eine Begegnungen mit ihnen überlebten, berichten von einer ausgesprochen fremdartigen Ausstrahlung und seltsamen Eigenheiten hinsichtlich des Gesichts und des Körperbaus. Obschon die Beschreibungen mitunter widersprüchlich und unglaubwürdig sind, vermuten nicht wenige, daß es sich bei den Dnukanden um ein halbmenschliches Geschlecht ähnlich den Muurt in Araktien handeln könnte.

Schibander
Der große Stamm der Schibander betrat erst vor wenigen Jahrzehnten den Boden der warmen Welt; entsprechend urwüchsig und temperamentvoll erscheinen sie dem Betrachter. Mit ihrer pechschwarzen Haut, dem wehenden schwarzen Haar, den funkelnden, roten Augen und ihrer Lieblingswaffe, einer Geißel, die sie mit lautem Gebrüll schwingen, geben sie im Kampf ein furcheinflößendes Bild ab, das auch tapfere Kämpfer in die Flucht zu schlagen vermag.

Torbiner
Die Torbiner sind ein kleiner Nebenzweig der Schibander.

Charagder
Einer der größten Stämme der Eisvölker sind die Charagder. Sie gelangen erst recht spät in die Länder des Nordens, noch nach den Schibandern, und leben wie die Lia noch an der Grenze zum ewigen Eis.

Lia
Die Lia haben ihr Siedlungsgebiet unmittelbar westlich der Charagder, mit denen sie weitläufig verwand sind. Den spärlichen Berichten zufolge sind die Lia überaus hellhaarig; Albinos scheinen keine Ausnahme unter ihnen zu sein. Die Lia sind ausgezeichnete und begeisterte Reiter, was ihnen in der Weite der Großen Steppe zu großem Vorteil gereicht.

Phol-Sedreth
Die Phol-Sedreth sind wohl das eigenartigste der Eisvölker. Es gibt Legenden, wonach einige von ihnen gar die Ewige Kaltnacht betreten und den See von Niol gesehen hätten. Gegenwärtig regiert der König der Phol-Sedreth, Eleud der Alte, im hohen Norden, im Eisschloß, und er hütet die Schale Eschram. Seinen Edelleuten erlaubt er, aus der Schale zu trinken, was dem gemeinen Volk verwehrt ist. So sind die Phol-Sedreth in der Tat zwei Völker in einem, wie der Name besagt: die Unsterblichen und die Sterblichen.

 

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